Versorgungsnotstand bei medizinischen Cannabisprodukten: Bundesweit klagen Patienten darüber, dass sie ihre Rezepte nicht einlösen können. Grund: Die Produzenten in Kanada und den Niederlanden können die steigende Nachfrage nicht bedienen - und der Anbau medizinischer Hanfpflanzen in Deutschland verzögert sich wegen eines Formfehlers bei der Ausschreibung. Auch Hamburger sind betroffen. Der IT-Berater Niko Lang (29) beschreibt, was der massive Lieferengpass für Patienten bedeutet.
Niko Lang leidet - unter anderem - an Epilepsie, musste jahrelang bis zu zehn verschiedene Tabletten täglich einnehmen. Dass der Bundestag im März 2017 Cannabis als Medizin freigegeben hat, ist ein Segen, sagt er: „Ich konnte fast alle Tabletten absetzen, meine Blutwerte haben sich normalisiert, ich bin wieder voll arbeitsfähig.“
Anders als beim Kiffen werden medizinische Cannabisblüten nicht geraucht, sondern in einem Vaporisator „verdampft“. Niko Lang: „Am Anfang lag meine Monatsdosis bei 30 Gramm, sie sinkt aber stetig.“ Lang gehört zu 128 Hamburgern, die laut AOK einen Antrag auf Kostenübernahme für Cannabis gestellt haben. 84 der Anträge wurden genehmigt. Die Hamburger Genehmigungsquote liegt damit leicht über dem Bundesdurchschnitt von 57 Prozent: Von 12.000 Anträgen bundesweit wurden 6700 genehmigt, wie die Bundesregierung mitteilt.
Die Hürden sind hoch: Bevor die Krankenkassen Cannabis bezahlen, muss nachgewiesen sein, dass alle anderen Medikamente nicht helfen. Aber selbst wer ein Rezept in Händen hält, bekommt nicht automatisch die verschriebenen Cannabisblüten oder das Hanf-Extrakt - von Anbeginn an kam es immer wieder zu Lieferengpässen. Die Nachfrage überstieg alle Erwartungen: Der Gesetzentwurf rechnete mit nur knapp 700 Patienten pro Jahr.
„Wir haben bis zu drei Monate Lieferzeit“, bestätigt eine Hamburger Apothekerin auf MOPO-Nachfrage, „das ist für die Betroffenen eine sehr belastende Situation.“ Niko Lang: „Viele Betroffene reisen durch ganz Deutschland, um eine Apotheke zu finden, die ihr Rezept einlöst.“
Nicht jeder Apotheker ist scharf darauf, diese Patienten zu versorgen. Denn: Cannabis-Rezepte bedeuten Mehrarbeit. Jede einzelne der Blütenpackungen muss einer Eingangskontrolle unterzogen werden. „Das ist eine unschöne Situation, um es mal ganz deutlich zu sagen, die passt auch mir nicht und die passt auch allen Apothekern nicht“, so Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, im Deutschlandfunk. Die Apotheker-Lobby kämpft derzeit dafür, für die Cannabis-Abgabe eine Extravergütung zu bekommen.
Bisher wird der gesamte Bedarf an medizinischen Cannabisblüten für deutsche Patienten durch Importe aus den Niederlanden und Kanada gedeckt. Dabei sollte im kommenden Jahr die erste deutsche Ernte den Markt entspannen: 117 Medizinunternehmen hatten sich um die lukrativen Anbaulizenzen beworben. Die kanadische Firma Nuuvera plante in Bad Bramstedt bereits ein Lager für Tonnen von Medizinal-Cannabis.
Inzwischen steht fest: Die erste einheimische Ernte ist in weite Ferne gerückt. Denn: Eine süddeutsche Firma für medizinische Hilfsmittel hat erfolgreich gegen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geklagt. Die Ausschreibung benachteilige deutsche Firmen, so der Vorwurf der Kläger.
Die Ungleichbehandlung bestätigte das Oberlandesgericht Düsseldorf zwar nicht, kippte das Ausschreibungsverfahren aber trotzdem wegen eines Formfehlers. Eine Frist für Bewerber war zu kurz angesetzt. Mit einer deutschen Ernte ist nun frühestens 2020 zu rechnen, wenn eine neue Ausschreibung abgeschlossen ist.
Für Niko Lang ist das ein unhaltbarer Zustand: "Wenn der Staat nicht in der Lage ist, den Bedarf an medizinischem Cannabis zu decken, muss er den Patienten die Möglichkeit einräumen, ihren Eigenbedarf durch Anbau zu decken." Das lehnt das Bundesinstitut für Arzneimittel jedoch entschieden ab. Niko Lang: "Damit sind Betroffene gezwungen, sich Cannabis auf dem Schwarzmarkt zu besorgen."
Rettung könnte aus Südamerika kommen: Uruguay baut in großem Stil medizinisches Cannabis an, könnte den leer gefegten deutschen Markt bedienen, doch der Import hakt an deutschen Gesetzen: Die Droge darf nur aus Ländern importiert werden, die den nicht-medizinischen Konsum von Cannabis verbieten. Uruguay will das Kiffen aber legalisieren.
– Quelle: https://www.mopo.de/30103392 ©2018